November-Blues

Es ist grau da draussen. Kühl, manchmal kalt, manchmal nass. Nebelig oftmals.

Ich sollte getrübt sein, wie der Ausblick aus dem Fenster. Ich bin es auch, aber es hat nichts mit der Jahreszeit zu tun. Ich bin es, wenn ich in das Virtuelle eintauche, dahin, wo in der Post-Zeitungs-Ära die News verbreitet werden. Und die Meinungen.

Denn Deutschland ist gespalten wie nie zuvor zu meinen Lebzeiten. Selbst die Mauer, selbst die Zweistaatlichkeit hat nicht soviel gegenseitiges Unverständnis, soviel fast schon faschistoides Heruntermachen des vermeintlichen Gegners hervorbringen können. Wir waren immer ein Volk. Jetzt sind wir nur noch zwei Gruppierungen, gespalten von einem winzig kleinen Virus und der Frage, wie man am besten vermeidet, von ihm getötet zu werden. Falls man glaubt, das man davon getötet werden könnte.

Ich könnte jetzt viel, sehr viel schreiben über Fakten, alternative Fakten, verschwiegene Fakten, Fakenews, Regierungsversagen, Versagen der Vierten Gewalt, Gefährdung der freiheitlichen Grundordnung und wie bis zu ein Drittel der Deutschen zunehmend kriminalisiert und stigmatisiert wurde, weil niemand sich mit ihren Ängsten und Argumenten auf Augenhöhe beschäftigen wollte. Aber all das ist tausende Male gesagt und geschrieben worden. Was bleibt, ist die Fassungslosigkeit. Dass es überhaupt so weit kommen konnte.

Ich geh raus, in die gedämpfte Natur, sie ist das einzige, das mir helfen kann. Ich mag den November, mit seiner Nachdenklichkeit, wie er das Gerippe des Lebens enthüllt, Baumsilhouetten am Horizont, nichts lenkt ab, keine Farben, keine Düfte, kein ummantelndes Grün. Das Innere ist sichtbar. Leise Melancholie wegen vergehendem Leben, gepaart mit dem Versprechen, dass das nicht das Ende ist, nur eine Atempause, ein neuerliches Kraftschöpfen.

Text und Foto: Esther Tolksďorf-Kazimierski